Brandenburg

Kreisgruppe Brandenburg / Havel
Kreisgruppe Brandenburg / Havel

Initiative "Lebenswerte Städte" für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts - warum ist Brandenburg nicht dabei?

Über 390 Städte und Kommunen in Deutschland haben sich der Initiative "Lebenswerte Städte und Gemeinden durch angepasste Geschwindigkeiten" des Deutschen Städtetags angeschlossen. Sie fordern das Verkehrsministerium auf, die Städte selbst entscheiden zu lassen, wo sie Tempo 30 anordnen möchten.

Tempo 30 mit Zusatzschild Luftreinhaltung
VCD/Katja Täubert

Aktuell dürfen die Städte Tempo 30 in Hauptstraßen nur unter hohen Hürden ausweisen, außerdem nur zeitlich begrenzt oder an gewissen Abschnitten, z.B. vor Schulen, Kitas und Altenheimen. Das führt zu einem Flickenteppich an Regeln und verhindert eine stadt- und umweltverträgliche Mobilität in den Städten. Es geht bei der Initiative nicht darum, überall Tempo 30 einzuführen, sondern um eine Art "Beweislastumkehr". Tempo 30 soll die Regel werden, andere Geschwindigkeiten sollen hingegen je nach örtlichen Gegebenheiten und Erfordernissen als Ausnahme möglich sein.

In Brandenburg an der Havel wären z.B. der Zentrumsring und alle weiteren Bundesstraßenabschnitte solche Ausnahmen, auf denen weiterhin Tempo 50 oder 60 gelten sollte, während es auf anderen Hauptstraßen wie z.B. der Sankt-Annen-Straße dann die Möglichkeit gäbe, Tempo 30 auszuweisen.

Die Forderungen der Initiative sind Konsens in Stadtplanung und Verkehrswissenschaft sowie Beschlusslage der Bundespolitik. Aus dem Kurzpapier der Initiative:

Der Deutsche Bundestag hat am 17.01.2020 in seiner mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen [damals CDU/CSU und SPD] angenommenen Entschließung „Sicherer Radverkehr für Vision Zero im Straßenverkehr“ einen eindeutigen Auftrag an den Bund formuliert, den Kommunen die Möglichkeit zu eröffnen, von der innerörtlichen Regelhöchstgeschwindigkeit von 50 km/h nach eigenem Ermessen auch auf Hauptverkehrsstraßen abzuweichen, wenn es den stadtpolitischen Zielen dient.

Auch die Verkehrsminister der Länder haben schon im April 2021 den Bund einstimmig dazu aufgefordert, einen entsprechenden Rechtsrahmen zu schaffen.

Der zuständige Minister Wissing (FDP) hat, wie sein CSU-Vorgänger, hingegen noch keinen einzigen Schritt in Richtung der Umsetzung des Bundestagsbeschlusses unternommen. Die Initiative ist also alles andere als obsolet.

Stand heute sind es 391 Städte und Kommunen aus ganz Deutschland, die sich dieser Initiative angeschlossen haben. Es sind Städte und Kommunen aller Größen, von der kleinsten Landgemeinde über Klein- und Mittelstädte bis zu Großstädten wie Berlin, Leipzig, Hannover und Dortmund, mit Oberbürgermeister:innen aller politischer Couleur, davon über 100 von der CDU/CSU.

Brandenburg an der Havel ist nicht dabei. Auf unsere wiederholte Frage, ob sich die Stadt nicht der Initiative anschließen wolle, hat Oberbürgermeister Herr Scheller geantwortet, das sei nicht notwendig. Dem möchten wir aufs Schärfste widersprechen. Es ist absolut notwendig, denn auch in unserer Stadt fehlt an vielen Stellen die Möglichkeit, Tempo 30 auch im Hauptstraßennetz auszuweisen, wodurch sich ein Flickenteppich an Verkehrsregeln ergibt.

Ein konkretes Beispiel ist die Bauhofstraße, auf der zwischen Jakob- und Wredowstraße Tempo 30 gilt, allerdings nur zwischen 6 und 17 Uhr. Ab der Wredowstraße, auf den Brücken über den Stadtkanal und die Havel, gilt Tempo 50,
danach in der sich anschließenden Luckenberger Straße hingegen wieder Tempo 30, und zwar ohne zeitliche Beschränkung.

Die zeitliche Beschränkung zwischen Jakob- und Wredowstraße ist schwer zu verstehen - im Altenheim Alexa oder in den Seniorenwohnungen von Jedermann wohnen die Menschen ja rund um die Uhr und haben wie andere Anwohner auch ein Recht darauf, nicht in ihrer Nachtruhe gestört zu werden durch über die schadhafte Straße rumpelnde Fahrzeuge.

Dass auf der Stadtkanal-Brücke Tempo 50 gilt, ist völlig unverständlich angesichts der Straßenbahnhaltestelle mit Ausstieg auf der Fahrbahn und dem desaströsen Zustand der Fahrbahn und der Brücke selbst, die mit der Zustandsnote 3,3 ein weiterer Kandidat für eine plötzliche Schließung ist – das passiert, wenn die Note 4 erreicht ist. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung vermindert die Belastung der maroden Brücke deutlich und würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Brücke bis zur geplanten Sanierung (Neubau) ab Ende 2024 auch durchhält.

Dieser Punkt gewinnt besondere Brisanz dadurch, dass die Plauer Straße ab Juli 2023 für ein Jahr gesperrt wird und in dieser Zeit der gesamte Straßenbahnverkehr von Hauptbahnhof und Neustadt zum Nikolaiplatz, zu THB und Klinikum sowie weiter auf den Görden und nach Hohenstücken über diese Brücke verläuft. Was selbst der Landesbetrieb Straßenwesen schafft - nämlich Temporeduzierung (plus Verringerung auf eine Spur je Richtung) auf der Brücke über die Bahn in der Potsdamer Straße, zur Schonung der Brücke bis zum Neubau - kann oder will die Stadt bei der Kanalbrücke offenbar nicht. Aus unserer Sicht geht die Stadt damit ein unkalkulierbares Risiko ein.

Allein aufgrund der Kanalbrücke wäre die Möglichkeit, Tempo 30 ohne bürokratische Hürden anzuordnen, im dringendsten Interesse der Stadt. Wann schließt sich die Stadt der Initiative an?

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